Zur sozialen Wiese hinter dem alten Kuhstall kommt man durch einen spitzwinkligen Durchschlupf – über die Schafweide, durch den Matsch am Kompostklo vorbei, dann ein selbstschließendes Holztor im Zaun, und schon hat man diese würzige Mischung im Profil der Gummistiefel. Bauernhof. Neugierige Hühner, etwas aufdringliche Enten, dem Bauern Florian Fischer auf dem Fuß folgend. Weiter oben eine Gruppe Schafe, die sich laut blökend aus den Aronia-Feldern zu uns auf den Weg machen, aber vorm Zaun nicht weiterkönnen. In der Mitte eine gelb-orange Plane auf gekreuzten Baumstämmen, das Dach für eine Sitzgruppe rund um zwei Biertische. Weiter hinten eine Draußenküche, ein selbstgelehmter Pizzaofen, dahinter ein alter Bauwagen mit durchhängendem Dach. Dies ist der Platz für das Soziale der Solidarischen Landwirtschaft Passau „Vereinte Wurzelwerke e.V.“ im Ilztal in der Nähe der Triftsperre. Es riecht nicht nach Stadt Passau, es riecht nach Ilzer Land wie früher, mit dem Sound von Schafen, Enten, Hühnern.
Florian Fischer stellt in einer großen Runde (ca. 20 Besucher) die Vereinten Wurzelwerke im Kontext des Langleben-Hofs (oben auf der Ries) und diesem verlassenen und größtenteils schon abgerissenen Vierseit-Hof vor. Er führt als Landwirt die Wirtschaft beider Höfe: Aronia-Produktion, Pferde in Rente, Streuobstwiesen und Saftpressen, neuerdings auch Roggen und Dinkel auf den Flächen zwischen den Aronias auf der Ries, Schafe, Enten, Hühner. Die Gemüseäcker der SoLaWi hier machen mit gut einem Hektar nur einen kleinen Teil der insgesamt 51 ha Wirtschaftsfläche aus, leben aber gut vom Pferdemist und Schafmist- als Kompost veredelt und von Schafwolle als Dünger und auch den Maschinen. Beeindruckend die langen Komposthaufen, die immer wieder bewegt, mit den biodynamischen Präparaten – hier wird zertifizierte Demeter-Landwirtschaft betrieben – behandelt und auf die Felder ausgebracht werden. Jede Gemüsepflanze kriegt zusätzlich dazu eine faustgroße Schafwollflocke ins Pflanzloch, darauf eine Kellenspitze Steinmehl, damit ist die Düngung für die ganze Saison gesichert. Im Gesamtbetrieb gelingt ein geschlossener Stoffkreislauf. Nur das Steinmehl kommt von außerhalb – weil die hiesigen Granitböden zu kalkarm sind.
Ein Glück für den Gemüseanbau ist die gute Wasserversorgung durch eine eigene Quelle, die auch in den trockenen Sommermonaten bisher genügend Wasser spendete.
Das große Gewächshaus wurde vor zwei Jahren in sehr sehr viel Eigenarbeit aus einem Haufen von Streben, Ständern, Rahmen und Kleinteilen aufgebaut. Es stammt ursprünglich aus einer vor Jahren aufgelassenen Gärtnerei. Ähnlich, aber kleiner ist das Gewächshaus in Ratzing auf der anderen Seite der Ilz, das bis dahin von der Solawi genutzt wurde. Mit 30 Mitgliedern angefangen, wurde der Andrang in Unteröd in den letzten Jahren immer größer, bis sich in Ratzing dann eine neue Solawi „Freisaat“ gründete und in enger Kooperation mit den Unterödern das Gewächshaus und die dortigen zwei Äcker übernahm. Mit jetzt fast 90 Haupt- plus fast ebensovielen Anteils-Mitgliedern holen die Unteröder hier schon alles aus dem Acker, was er hergibt.
Heute, am 5. November, stehen im Gewächshaus noch die Auberginen, gut bestückt mit dunkelvioletten Früchten. Daneben ein Feld mit Feldsalat, üppig grün, eine abgeerntete Reihe Postelein. Auch im Folientunnel gibt es noch prächtige Paprika. Die SoLaWi beliefert ihre Mitglieder ganzjährig. Im Winter gibt es eingelagertes Wintergemüse (Kohl, gelbe Rüben, Sellerie, Randen, Kartoffeln). Auf dem Feld steht noch Lauch, Grün- und Schwarzkohl, Kräuter (Winterheckenzwiebel, Schnittlauch, Thymian, Salbei, Koriander). Vom Einjährigen Beifuß (Artemisia annua) stehen noch meterhoch die Samenstände. Jeder kann sich einen Zweig mitnehmen – für die eigene Aussaat des bitteren Heilkrauts, dem große Wirksamkeit nachgesagt wird.
Frisch gibt es im Winter Feldsalat, Asia-Salat und Postelein aus dem Gewächshaus, das keine Heizung hat. Um an frostigen Tagen eine gewisse Grundwärme im Gewächshaus zu halten, soll hier ein Teil der Schafherde ihr Winterquartier beziehen und mit ihrer Körperwärme (50 Watt/Schaf?*) und der Mistmatte den Frostschutz übernehmen. So geht nachhaltiges und klimaneutrales Wirtschaften – hofft Florian.
Fünf in Teilzeit angestellte Gärtner planen und leisten die Haupt-Arbeiten auf dem Feld und im Gewächshaus. Wenn viele Kisten Jungpflanzen von einem Demeter-Pflanzenzüchter geholt werden, gibt es Aktionstage, After-Work-Einsätze am Freitagnachmittag, wenn‘s drängt auch Sonderaktionen, zu denen dann per Email aufgerufen wird. Dann leisten die Mitglieder ihren Beitrag an Handarbeit. Genauso, wenn die „Unkräuter“ schneller wachsen als das Gemüse, die Kartoffeln geerntet und Äpfel zum Saftpressen zu klauben sind. Ohne diese Hilfe vieler Hände wäre Gemüseanbau so nicht machbar.
Das war jetzt ein Bruchteil dessen, was es an diesem Nachmittag in Unteröd zu sehen und zu erfahren gab. Es ging auch noch um Rehe, die gerne Radicchio fressen**. Die Erdflöhe mögen es heiß und trocken und finden das Gewächshaus super. Die Schnecken fressen alles außer Gras, die Schafe mögen auch lieber Salatherzen, wenn sie mal einen Durchschlupf finden. Eine Hühnerschar mit mobilem Hühnerhaus räumt die abgeernteten Böden gründlich auf und frisst nicht nur das Unkraut-Saatgut, sondern hoffentlich auch alle Schneckeneier. Die Demeterbetriebe sollen bis 2040 komplett umgestellt werden auf samenfeste Gemüsesorten, jetzt macht der Anteil der F1-Hybriden auch im Biobau bis zu 80 % aus. Die Gärtnerin Vroni zieht jedes Jahr etliches Fruchtgemüse (Tomaten, Paprika, Chili) und Zwiebeln in ihrem Wintergarten, für eine Anzucht größerer Jungpflanzenmengen bräuchte es aber ein geregelt beheiztes Gewächshaus. Die Äcker in Unteröd sind seit Jahren ausgelastet und bräuchten alle bald mal eine Pause. Um ein Drittel der Flächen als Brache ruhen zu lassen, sollen in der nächsten Saison einige Kulturen (Kartoffeln, Kohl…) auf Flächen auf der Ries angebaut werden.
Draußen ziehen dann Wolken auf, der Wind frischt heftig auf, die Konzentration läßt trotz großer Neugier und vielen Fragen nach. Man könnte da ganze Tage fachsimpeln!
Im Kuhstall der Verteil-Raum mit einer Wand aus schrägen Regalen, in denen jetzt leere, am Mittwoch aber üppig und lecker gefüllte Kisten stehen, aus denen sich jedes Mitglied seinen Anteil an Gemüse für die Woche zusammenstellt. Auf der Tafel steht, was jedem zusteht, mit Stückzahl oder Gewichtsangabe, eine elektrische Waage wiegt. Wer den Kohl schon satt hat oder Fenchel und Topinambur nicht mag, legt ihn in die Verschenke-Kiste, aus der sich jeder dann frei bedienen kann – ohne zu vergessen, dass auch noch andere kommen. Gegenüber eine weitere Besonderheit dieser Solawi: in den Holzkästen in der Lehmwand gibt es Honig, Kerzen, Aroniaprodukte, große und kleine Schafsalami, in einer braunen Bäckerkiste große schwere Brotlaibe – Roggen-Sauerteig-Brote von der Grafmühle, gebacken aus Florians Roggen, würzig. Ein kleiner Marktplatz für die lokalen Bio-Produkte aus dem Netzwerk der Öko-Betriebe aus der Ilz-Region. Die Salami von den Unteröder Schafen, die Eier von den Hühnern, der Honig von Michel (die Bienen wohnen über der Werkstatt draußen bei den Geräteschuppen). Preise stehen dran, für jedes Produkt gibt es eine kleine Kasse – alles auf Vertrauensbasis.
Wer noch nicht genug davon gesehen hat, was ein leidenschaftlicher Bauer, fünf GärtnerInnen und viele Mitglieder-Hände aus einem verlassenen Bauernhof machen können: Es gibt eine große Bildwand mit allen Mitarbeitern und Mitgliedern der Solawi, Flyer zu diesem und jenem Ereignis, Seminare, Kochrezepte, Lehmbau, Feste mit Kultur-, Freizeit- und Kinderprogramm, ein Gemüsequartett und Bildungsangebote – für viele kulturelle Landpartien.
*Ein durchschnittlich großer und schwerer Mensch gibt, ruhig bei einer Temperatur von mindestens 16 Grad Celsius sitzend, ca. 120 Watt an Wärme ab– das ergibt, auf einen ganzen Tag gerechnet, eine Heizleistung von ca. 2,9 kWh. Schafe mit ihrer Wolle sind erheblich besser isoliert als Menschen, ihre Heizleistung dürfte deswegen deutlich geringer ausfallen.
**vielleicht finden sie nicht genug verdauungsfördernde bittere Kräuter in ihrem Revier. Sollten wir ihnen vielleicht einen breiten Beifußstreifen am Zaun anbieten, Saatgut steht ja genug auf dem Beet?